Buchtipp für die Krise

Mann geht über Wiese auf Kirche zu
Bild: unsplash.com, Peter Dlhy

In den vergangenen Tagen habe ich das Buch von Jürgen Wiebicke „Zu Fuß durch ein nervöses Land“ gelesen. Der Titel hat mich neugierig gemacht. Er drückt treffend die Atmosphäre in weiten Teilen unserer Bevölkerung aus – auch in unserem kirchlichen Alltag.

Auch wenn das Buch schon vor der Corona-Krise entstanden ist, zeigen die Stationen von Jürgen Wiebicke in Nordrhein-Westfalen, wo er immer wieder Halt gemacht hat, wie unsere soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche Stimmung in Bewegung ist. Die Nervosität ist nicht nebulös, sondern wird durch Orte, Einrichtungen und Personen greifbar und nachvollziehbar. Ich habe dieses Buch verschlungen, da ich viele Situationen und Stationen als inneres Bild vor Augen hatte. Die Ursachen unserer Nervosität hängt sicherlich mit der Komplexität der Umbruchsituation und der Unübersichtlichkeit in den verschiedenen Bereichen zusammen. Das macht der Autor sehr deutlich. Auch die Nachdenklichkeit und Offenheit, die in seinen Tagebuchnotizen wiederzufinden sind, waren für mich Ermutigung und Hilfe.

Die Nervosität ist nicht nur eine gesellschaftliche Beobachtung und Realität. Auch in unserem kirchlichen Alltag ist sie längst angekommen. Was wird aus dem Synodalen Weg? Kommt es zu einer Erneuerung des kirchlichen Lebens? Finden wir noch Anschluss an die Generation der jungen Erwachsenen? Reichen die Kräfte, um sich in unserer säkularen Gesellschaft neu positionieren zu können? Fragen über Fragen, die sehr nervös machen können. Jürgen Wiebicke spürt auch ein wachsendes Unbehagen über den konsumorientierten Lebensstil mit seinen negativen Auswirkungen und wirbt für ein Gegenmittel: weg von der Zuschauerdemokratie hin zu zivilgesellschaftlichem Engagement. Bei aller regionalen Verankerung hat das Buch überregionale Bedeutung.

Über den Autor

Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Jürgen Wiebicke trifft Künstler, Millionäre, Sportler, entdeckt Yoga-Sitzungen im Klostergarten, spricht mit Teilnehmern beim Schützenfest, besucht die Benediktinerabtei Gerleve und spricht mit den Mönchen. Er sucht Kontakt in Flüchtlingsheimen und Jugendhilfezentren, ist zu Besuch auf einem großen Schlachthof. Mit offenen Augen entdeckt er bei aller Nervosität aber auch eine Bereitschaft, sich für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft einzusetzen. Dieses Buch hat mich darauf aufmerksam gemacht, in meiner Umgebung solchen Einsatz wahrzunehmen und wertzuschätzen.

 

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