Die Hilfsbereitschaft eines Dorfes

Adventliches Kartenbasteln
Beim adventlichen Basteln trafen sich Flüchtlinge und Frauen aus dem Dorf. Bild: Kirchenbote

Mehrere ukrainische Familien haben sich in Groß Hesepe und Umgebung ein Leben im Frieden aufgebaut. Dabei werden sie von Silke Gröninger und vielen Bewohnern des Ortes unterstützt – im Alltag, aber auch wenn es um die gemeinsamen Vorbereitungen von Advent und Weihnachten geht.

Ein Anruf brachte alles richtig ins Rollen. Als Silke Gröninger das Telefongespräch im Frühjahr 2022 annahm, war eine ukrainische Freundin am Apparat; Silke Gröninger kannte sie aus der Kur. Diese Freundin fragte, ob sie eine Chance sehe, in ihrem Dorf im Emsland eine große ukrainische Familie unterzubringen. In der Stadt sei es nicht möglich, eine Wohnung für zehn Personen zu finden. Silke Gröninger funkte per Messengerdienst all ihre Bekannten an und siehe da: Es wurde eine Wohnung gefunden.

Zum Glück für diese ukrainische Familie ist Silke Gröninger an ihrem Wohnort in Groß Hesepe gut vernetzt. „Als junges Mädchen habe ich den Kirchenboten verteilt, daher kennen mich viele Leute“, sagt Silke Gröninger. Dass die 44-Jährige im Ort so bekannt ist, liegt aber auch an ihrem ehrenamtlichen Engagement.

So ist sie zum Beispiel in der katholischen Frauengemeinschaft aktiv und sitzt für die CDU im Rat der Gemeinde Geeste. Viele Menschen trauen ihr zu, dass die Dinge, die sie anpackt, sich gut entwickeln. Und so ist es bei ihrem Einsatz für die zehnköpfige Familie nicht geblieben. Inzwischen sind etwa 50 Ukrainer im Umkreis von Groß Hesepe angekommen und profitieren von der Hilfsbereitschaft eines ganzen Dorfes.

Anmeldungen für Schule und Kindergarten

Für die ukrainischen Familien ist nach wie vor Silke Gröninger die Hauptansprechpartnerin; sie hat schon viele Stunden damit verbracht, Behördenbriefe zu lesen, Anmeldungen für Kindergarten und Schule zu regeln, mit zur Tafel nach Twist zu fahren oder gemeinsame Ausflüge zu organisieren und zu begleiten. Aber sie sagt auch: „Ohne die Unterstützung im Dorf wäre das alles nicht möglich gewesen!“

Sobald sie ein Anliegen per Messenger verbreitet hat, fanden sich Menschen, die darauf reagierten. Diese Handy-Nachrichten sind schnell und praktisch: Man kann zum Beispiel gezielt nach Kinderkleidung für ein Mädchen fragen, Kleidergröße und Schuhgröße hinzufügen, und es reagieren diejenigen, die wirklich etwas Passendes haben. „Wir haben viele Spenden bekommen“, erzählt Gröninger, und so manches Mal meldeten sich Leute und sagten: „Bei mir können auch welche wohnen.“

Flüchtlinge aus der Ukraine
Silke Gröninger (links) mit Valeriia und ihrer Mutter Juliia Bespalova

Die Sachspenden wurden spontan vorbeigebracht und auf dem Hof Gröninger gelagert: „Scheune, Carport, Gartenhaus – das stand alles voll!“ Gut erhaltene Kleidung wurde gespendet, aber auch Gebrauchsgegenstände für den Haushalt. Insgesamt sechs Wohnungen konnten so ausgestattet werden, alles aus Spenden.

Die ukrainischen Flüchtlinge haben oft nur das dabei, was in eine Reisetasche passt. So war es auch bei Juliia Bespalova. Sie stammt aus dem Ort Otschakiw, eine Kleinstadt an der Schwarzmeerküste, die vor Beginn des Krieges etwa 15000 Einwohner hatte. Inzwischen leben dort nur noch geschätzt 2000 Menschen, sagt Juliia Bespalova. „Die Stadt wird täglich beschossen.“ Durch Raketenbeschuss wurden viele Wohnungen zerstört, auch die Wohnung von Julia Bespalovas kleiner Familie.

Die 31-Jährige hat ihre Heimat im April 2022 verlassen, zusammen mit ihrer Mutter Nadiia Tucchaninova und der Tochter Valeriia. Mit dem Zug fuhren sie nach Lwiw (Lemberg) und dann weiter Richtung Polen. „Ich habe den gazen Weg geweint“, sagt Juliia Bespalova. Doch sie wollte ihre Tochter in Sicherheit bringen. Ihren Mann musste sie zurücklassen.

Die Fahrt war eine Reise ins Ungewisse. Nie zuvor sei sie im Ausland gewesen und auch innerhalb der Ukraine noch nie verreist. Juliia Bespalova, ihre Mutter und ihre Tochter landeten schließlich in Polen und wurden in Danzig in einem Auffanglager untergebracht. Dann erfuhren sie, dass ihre Schwägerin bis Deutschland gelangt war. Diese Schwägerin hatte eine Wohnung in einer Hofstelle in Twist beziehen können, die Gröningers gehört, und bat Silke Gröninger um Hilfe. So fügte sich eins zum anderen: Juliia Bespalova, ihre Mutter und ihre Tochter konnten ins Emsland kommen und zogen in Groß Hesepe in eine leerstehende Wohnung, im Haus von Silke Gröningers Vater Josef Bergmann.

Das Leben auf dem Land gefalle ihr gut, sagt Juliia Bespalova. Man habe mehr Ruhe als in der Stadt und auch die Luft sei besser. „Und auf dem Dorf können wir uns besser integrieren“, sagt sie: „Alle kennen uns.“ Jeder in Groß Hesepe wisse: „Das ist die Familie, die bei Josef wohnt“. Darüberhinaus seien sie umfassend von Silke Gröninger unterstützt worden. „Silke hat uns so viel geholfen, mit den Dokumenten, mit Kleidung, mit der Wohnung.“ Dafür sei sie wirklich dankbar.

Weihnachten in der Ukraine

Früher in der Ukraine haben Juliia Bespalova und ihre Familie das Weihnachtsfest nach dem julianischen Kalender am 7. Januar gefeiert. Am 6. Januar war der Heilige Abend, an dem die Kinder traditionell ihre Pateneltern besuchen und Hefegebäck und Süßigkeiten vorbeibringen – die Kinder bekommen ein Geschenk. Am Abend des 6. Januar ziehen junge Menschen mit einem großen Stern in der Hand durch die Straßen und singen Weihnachtslieder. Das Hauptgericht des Abends ist Kutja, eine Speise aus gekochtem Weizen mit Mohn, Honig und Rosinen. Am Morgen des 7. Januar, also am Weihnachtstag, begrüßten sich die Menschen mit den Worten „Christus ist geboren!“, die Antwort darauf laute „Lobe ihn.“ Seit dem Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine im Frühjahr 2022 hat die ukrainische Regierung verfügt, man möge das Weihnachtsfest nach dem gregorianischen Kalender, also am 25. Dezember, feiern.

Sie selbst hat im November 2022 mit dem A1-Sprachkurs begonnen, inzwischen hat sie auch schon den Kurs B1-Kurs absolviert. Wer sich mit ihr unterhält, kann kaum glauben, dass sie die Sprache erst seit Herbst 2022 erlernt. Juliia Bespalova will sparen, um den Führerschein machen zu können, was in Deutschland allerdings sehr teuer sei, und sie möchte eine Arbeit finden. Sie hat in der Ukraine Ökologiewissenschaften studiert und unter anderem in einem Naturschutzzentrum gearbeitet. Gerne würde sie in Deutschland eine ähnliche Arbeit finden.

In ihrem Heimatort gibt es keine Arbeit mehr. Ihr Mann ist als Hafenarbeiter inzwischen an einem anderen Ort tätig, in Reno. Er belädt die Frachtschiffe, die mit ukrainischem Getreide auf den Weg durchs Schwarze Meer geschickt werden, und wird immer wieder in seinem Kran von russischen Raketen beschossen. Juliia Bespalova ruft ihn jeden Tag an, um zu hören, wie es ihm geht. Tochter Valeriia, die ihren Vater sehr vermisst, führt Videogespräche.

Treffen im Pfarrheim

Während die ukrainischen Flüchtlinge versuchen, sich in Deutschland eine sichere Existenz aufzubauen, in der sie nicht auf Spenden angewiesen sind, machen sie sich Sorgen um ihre Liebsten daheim. Dann tut es gut, mit positiven Erlebnissen den Alltag auch einmal zu vergessen. Dazu trugen die Ausflüge im Sommer bei, die Silke Gröninger organisiert hat, ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung von Sponsoren, und gemeinsame Nachmittage, zum Beispiel bei den Treffen im katholischen Pfarrheim, die von Gemeindereferentin Annegret Marien organisiert und begleitet wurden.

Vor einigen Wochen hat Silke Gröninger die Frauen zum Basteln von Weihnachtskarten eingeladen, dabei wurde sie von Freundinnen unterstützt. Mitte Dezember ist eine vorweihnachtliche Feier auf dem Hof Gröninger geplant. Auch im vergangenen Jahr hatte Silke Gröninger zu einer deutschen Weihnacht eingeladen und dazu einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Weil ein Kindergarten aus der Gemeinde Geeste Päckchen gepackt hatte, gab es sogar Geschenke. Auch Silke Gröninger wurde beschenkt: Sie erhielt eine Puppe aus Stoff, eine ukrainische Motanka, die als Talisman gilt.

Ihr Engagement für die Ukrainer sei nur möglich, weil ihr Mann, die Söhne, der Vater und die Schwiegermutter mitziehen, sagt Silke Gröninger. Ansporn ist für sie, dass ihre im März 2022 an Krebs verstorbene Mutter genauso gehandelt hätte. Als im Februar 2022 die Fernsehberichte vom Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine zu sehen waren, habe ihre Mutter spontan gesagt: „Wir nehmen auch welche auf.“

Autorenzeile Kirchenbote