„Die Menschen hängen an der Heimat“

„Die Menschen hängen an der Heimat“
Lyudmyla Stieben arbeitet im Jugendmigrationsdienst bei der Caritas. Die jungen Menschen aus der Ukraine seien sehr ehrgeizig, sagt sie - und müssten sich doch erst hier in Deutschland zurechtfinden. Bild: Bistum Osnabrück

Der 24. Februar 2022, der Tag als der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begann, war eine Zeitenwende – in der Weltpolitik genauso wie im Leben von vielen einzelnen Menschen – wie Lyudmyla Stieben, die selbst aus der Ukraine kommt und jetzt junge Geflüchtete aus dem Land berät.

Um 6.00 Uhr morgens traf am 24. Februar 2022 die erste WhatsApp-Nachricht bei Lyudmyla Stieben ein. Eine Freundin schrieb aus der Nähe von Kiew, sie werde beschossen. Da war der Krieg, ganz nah auf dem Handy. Und er begleitet die geborene Ukrainerin, die seit 2002 in Deutschland lebt, weiter. Auch wenn sie versucht, ihm auszuweichen: „Ich habe irgendwann aufgehört, Nachricht zu schauen – um mich selbst zu schonen“, sagt sie. Vor allem russische Propaganda, die alle Fakten über den Krieg in der Ukraine verdrehe, mache sie wütend. „Man kann da nicht gleichgültig bleiben.“

Weitere Infos

  • Ein Jahr Kriegsbeginn: Weitere Texte zum Thema finden Sie hier
  • Friedensgebete: Ein Politisches Nachtgebet am 23. Februar um 19.30 Uhr in der Kleinen Kirche am Dom in Osnabrück und das Friedensgebet der ukrainischen Gemeinde am 24. Februar um 14.00 Uhr im Dom. Weitere Infos hier.
  • Interview: Die Wissenschaftlerin Regina Elsner zur Lage der Kirchen in Russland und der Ukraine, ein Jahr nach Kriegsbeginn.

Der Krieg und seine Folgen haben auch den Arbeitsalltag von Lyudmyla Stieben verändert. Sie arbeitet beim Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Osnabrück und berät dort normalerweise Jugendliche mit Migrationshintergrund zu Fragen der Integration in Schule, Beruf oder im sozialen Umfeld. Gerade in Corona war diese Arbeit wichtig – und wurde durch die Pandemie nochmal anspruchsvoller. „Als wir dachten, das ist jetzt überstanden, kam der Krieg“, sagt Lyudmyla Stieben.
Denn nach dem 24. Februar war der Ansturm durch die geflüchteten Menschen so groß, dass sie in die Beratung für die Neuangekommenen einstieg – allein schon, weil sie die Sprache beherrschte. „Wir waren für die Menschen immer da“ – entweder in ihrem kleinen Büro im Osnabrücker Caritashaus oder in der Online-Beratung. Den Menschen helfen, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, Anträge bei den Behörden zu stellen, das waren die neuen Herausforderungen. Denn in der teils chaotischen Zeit im Frühjahr 2022 änderten sich auch die Rahmenbedingungen immer wieder: „Erst war beispielsweise das Sozialamt für die Ukraine zuständig, dann das Jobcenter“, Lyudmyla Stieben. Auch dieser Wechsel habe viel Papierkram nach sich gezogen.

Mittlerweile berät sie wieder Jugendliche – auch die aus der Ukraine. „Sie sind sehr ungeduldig, wollen am liebsten gleich loslegen, studieren oder ihren Abschluss machen“, sagt sie. Die jungen Menschen seien ehrgeizig und wollten gestalten. Aber trotzdem muss sie die meisten bremsen: „Es gibt viel Bedarf an Aufklärungsarbeit. Nicht alle Jugendliche können direkt dort anknüpfen, wo sie in der Ukraine aufgehört haben. Den jungen Menschen, die es gewohnt sind, zu lernen, geht die Integration in das Bildungssystem zu langsam.“ Außerdem fehlten meist sprachliche Voraussetzungen. „Sie müssen viel Zeit und Geduld mitbringen und dafür sorgen, dass sie die notwendige Motivation nicht verlieren.“

Zwar könnten sich nach knapp zwölf Monaten Krieg mittlerweile viele Geflüchtete aus der Ukraine vorstellen, in Deutschland zu bleiben – vor allem die jüngeren. Der überwiegende Teil aber will, wenn die Kämpfe irgendwann vorbei sind, wieder zurück: „Die Menschen hängen wirklich sehr an ihrer Heimat und wollen nicht irgendwo anders wohnen.“