Eine neue Kultur der Gewaltlosigkeit

Eine neue Kultur der Gewaltlosigkeit
Bild: unsplash.com, Zaur Ibrahimov

In den vergangenen Tagen habe ich angesichts des Ukrainekrieges verstärkt nach Orientierung und Perspektiven gesucht. Mir ist dabei das Buch des Trappisten und Pazifisten Thomas Merton „Gewaltlosigkeit“ aus dem Jahr 1971 wieder in die Hände gefallen. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe ich dieses Buch mit großer Begeisterung gelesen.

Thomas Merton war ein kluger Denker der Gewaltlosigkeit. Seine große Sorge war ein möglicher Atomkrieg, der die gesamte Menschheit vernichtet. Für ihn war die Herausforderung klar: Pazifismus muss mehr sein als die Ablehnung von Waffen. Er wollte eine neue Kultur der Gewaltlosigkeit aufbauen mit dem Ziel, Krieg zu verhindern. Dabei lehnte er nicht in jedem Fall Krieg und Gewalt ab. Er unterschied eine Gewaltlosigkeit „des Stärkeren“ und eine Gewaltlosigkeit „der Schwachen“.

Problematisch ist also nicht eine Theologie, die annimmt, dass Gewaltanwendung notwendig sein kann, sondern eine Theologie, die zugleich die Ansprüche der Mächtigen und Etablierten unterstützt, die gegen das Gemeinwohl der Menschheit oder gegen die Rechte der Unterdrückten gerichtet sind.

(Seite 261)

Für Thomas Merton ist die heutige Gewalt eine Gewalt „der weißen Westen“, der durchorganisierten bürokratischen und technologischen Zerstörung des Menschen. Die Theologie sollte das wahre Problem nicht aus den Augen verlieren. Es ist nicht irgendein Individuum mit einer Pistole in der Hand, sondern Tod oder sogar Völkermord als großes Geschäft. (Seite 261/262).

Um in diesen ,Geschäftsbeziehungen‘ einen Schritt zum Frieden gehen zu können, ist es laut Merton notwendig, den Gegner nicht nur als Kriegstreiber zu brandmarken, inhuman und grausam, sondern in ihm auch einen möglichen Verhandlungspartner zu erkennen, mit dem ich in Dialog treten will. Im Blick auf den Ukraine Krieg ist dies ein im augenblicklichen Moment des Krieges eine gewaltige Herausforderung.

Merton schreibt weiter:

Überall, wo ein großes Ideal im Spiel ist, besteht die Gefahr des Pharisäertums, und die Gewaltlosigkeit macht dabei keine Ausnahme. Pharisäertum lebt von der Gegenüberstellung: Hier das moralisch oder sozial hochstehende Selbst und die Elite, der es angehört, dort die Anderen, die Bösen und Aufgeklärten…

(Seite 292/293)

Eine solche ,Sündenbockeinteilung‘ in Gut und Böse – Ukraine gut, Russland böse – macht eine realistische Gewaltlosigkeit nicht mit. Es geht ihr nicht um Trennung und Spaltung, sondern christlicher Gewaltlosigkeit geht es um Einheit und Gemeinsamkeit der Menschheit. Es geht um einen pragmatischen Pazifismus (Olaf Müller). Der könnte auch eine Stärkung der militärischen Positionen der Ukraine vorsehen, um Russland zurückzudrängen und um Friedensverhandlungen einzufordern.

Über den Autor

Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Zugleich brauchen wir dann eine selbstkritische Sicht der Entwicklungen in Europa nach 1989. Haben wir den Beitrag des russischen Volkes an der Überwindung des Eisernen Vorhangs genügend gewürdigt? Wie war es mit der Würdigung der Leistung von Michael Gorbatschow mit seinem ersten Schritt der Vorleistung zum Frieden? Wurde dieser Schritt nicht fälschlich als Schwäche gedeutet?

Wir brauchen differenzierte Debatten über die Veränderungsprozesse in Ost und West. Sie wären Teil einer sich entwickelnden Kultur der Gewaltlosigkeit. Das ,alte‘ Buch von Thomas Merton kann Reflexion auslösen, die uns heute zu neuen Wegen in der Friedensarbeit führen. Sie können Ideengeber sein für eine Überwindung des Krieges in der Ukraine.

3 Kommentare zu “Eine neue Kultur der Gewaltlosigkeit

  1. Putin ist ein gefallener Engel. Es gibt Diplomaten, die über seine Wesensveränderung berichteten. Nun stellt sich die Frage, wie weit geht dieser Mann?
    Wollen wir eventuell jahrelang zusehen wie dieser Krieg weitergeht?
    Unsere Politiker begehen da einen großen Irrtum.
    Was unsere Bischöfe tun ist mir zu wenig, denken sie immer noch nur an den Erhalt der Kirche?

  2. Ich lese derzeit erneut Thomas Mertons Autobiographie „Der Berg der sieben Stufen“. Er war bekannt dafür, Ernesto Cardenal als Novizenmeister in Nicaragua unterstützt zu haben, als dieser zum Kultusminister ernannt wurde. Aktuell lese ich das Buch vor dem Hintergrund des ukrainischen Bürgerkriegs seit 2014 und des Krieges mit Russland.

    Interessanterweise beschreibt Merton detailliert die ablehnende Haltung einiger amerikanischer Calvinisten gegenüber vorreformatorischen Konfessionen. Es regt mich zum Nachdenken an, ob sein tragischer Tod, als er an einer Konferenz östlicher und westlicher Mönche teilnahm, möglicherweise eine Verbindung zur CIA hat.

    Zudem erkenne ich, dass die USA möglicherweise Schwierigkeiten haben, mit einem von einer vorreformatorischen Konfession geprägten Russland gut auszukommen.

    Ich beginne die Wurzeln des Bürgerkriegs in der Ukraine besser zu verstehen und vermute, dass möglicherweise Fundamentalisten in den USA den Konflikt beeinflusst haben könnten.

    Es wird mir klar, dass die Durchbrechung des eisernen Vorhangs durch Russland nicht ausreichend anerkannt wurde.

  3. Ich finde es spannend, dass unlängst jemand das Gegenteil einer Kultur der Gewaltlosigkeit untersucht hat, nämlich die „Kultur der Gewalt“: Franz Jedlicka hat eine „Culture of Violence Scale“ entwickelt, bei der z.B. die Akzeptanz von Gewalt in der Kindererziehung (weil sie nicht gesetzlich verboten ist) in den Ländern der Welt ein Faktor ist. Mehr in seinem inspirierenden Buch „Die vergessene Friedensformel“.

    Johanna

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