Seit über einem Jahr stellt die Corona-Pandemie das Leben von allen Menschen vor neue Herausforderungen. Besonders hart trifft es Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen in Altenpflegeheimen. Wie hat sich Seelsorge dort während der Pandemie verändert? Was bedeutet Altenheimseelsorge heutzutage und wie entwickelt sich Altenpflegepastoral gerade weiter? Gemeindereferentin Waltraud Kipp gibt Einblicke.
Wie hat Corona ihren Arbeitsalltag als Seelsorgerin in Seniorenpflegeheimen verändert?
Ziemlich grundlegend. Vor Corona waren viel mehr Player im Haus. Während des ersten Lockdowns 2020 durfte ich gar nicht in die Einrichtungen, momentan nur mit einem Schnelltest. Alle Veranstaltungen dürfen nur im Wohnbereich stattfinden, selbst die Gottesdienste, die mittlerweile aber wieder wohnbereichsweise in der hauseigenen Kapelle gefeiert werden dürfen. Da feiere ich oft zwei Gottesdienste hintereinander. Somit ist vieles für die Bewohner*innen weggebrochen – und auch für die vielen Ehrenamtlichen. Das ist schon belastend für beide Seiten. Es ist ja ein Geben und Nehmen. Auch die Ehrenamtlichen vermissen es sehr, mit den Menschen Kontakt zu haben.

Zur Person
Waltraud Kipp ist Gemeindereferentin und Trauerbegleiterin und zurzeit Seelsorgerin für die Bewohner*innen, die Angehörigen und Mitarbeiter*innen in der St. Michael Pflege GmbH. Dazu gehören das Seniorenpflegeheim St.-Elisabeth-Stift in Neuenkirchen, das St.-Antonius-Stift Alfhausen und das Seniorenpflegeheim St. Martinus in Bramsche. Außerdem ist sie für das Gemeinschaftshaus St. Franziskus in Merzen zuständig.
Welche Schicksale gingen Ihnen in der Corona-Zeit besonders nahe?
Ich habe vier Mal die schwierige Situation erlebt, dass Bewohner*innen aus einem Altenheim nicht zur Beerdigung ihres Partners oder ihrer Partnerin gehen durften. Parallel zur Beerdigung habe ich mit der Bewohnerin oder dem Bewohner eine kleine Trauerfeier begangen. Das war für die Angehörigen sehr entlastend, die in Ruhe am Grab Abschied nehmen konnten und wussten Mama oder Papa ist jetzt mit uns im Gebet verbunden. Abends haben mir die Angehörigen Fotos von der Beerdigung geschickt. Die durfte ich am darauffolgenden Tag zeigen. Das war schon sehr extrem.
Gibt es Positives in dieser Corona-Zeit?
Waltraud Kipp (Mitte) bringt mit zwei Betreuungskräften den Segen.
In der ersten Lockdown-Phase hat eine Gemeindereferentin Hausgottesdienste für die Gemeindemitglieder ins Internet und auch mir zur Verfügung gestellt. Ich habe sie entsprechend für die Bewohner*innen abgeändert. Seit der Aufhebung des Lockdowns bereite ich nun wöchentliche Gottesdienste vor. Es ist schön, dass wir in allen Häusern Betreuungskräfte gefunden haben, die mit Herzblut diese Gottesdienste mit den Bewohner*innen im jeweiligen Wohnbereich feiern. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Dienst nach der Pandemie in einer neuen Form integriert bliebe. Schön war auch, dass sich in allen Häusern spontan Mitarbeiter*innen dazu bereiterklärt haben, mit mir als Heilige Drei Könige den Segen in die Hausgemeinschaft zu bringen. Es war für die Bewohner*innen einfach mal wieder etwas Greifbares. Generell hat mir diese Zeit gezeigt, wie wichtig Vernetzung ist und ein guter Kontakt zur Kirchengemeinde. Wenn Corona vorbei ist, werden wir die Dinge für die Seelsorge gut auswerten.
Sie schreiben momentan Konzepte für ihre Einrichtungen – was ist der Hintergrund?
In einer deutschlandweiten Studie wurde deutlich, dass vielen Altenpflegeeinrichtungen ein Seelsorgekonzept fehlt bzw. Seelsorge sich ausschließlich auf die spirituelle Versorgung mit Gottesdiensten und klassischer Einzelseelsorge beschränkte. Der Seelsorgebegriff hat sich heute sehr geweitet: Es geht um Versöhnung mit dem Leben, um Begleitung im Sterben, Verabschiedung, aber auch um Alltägliches und darum, sich für die Rechte der Bewohner*innen einzusetzen, für Dinge und Menschen, die ihnen guttun und heilsam sind. Dieser weite Ansatz von Seelsorge findet Eingang in ein neues Konzept, an dem ein Team aus in der Seelsorge engagierten Personen aus der Kirchengemeinde und der Altenhilfeeinrichtung arbeiten. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt im Bistum Osnabrück.
Vor Corona: Die Mutter-Kind-Gruppe besucht die Hausgemeinschaft.
Immerhin Winken ist erlaubt: Kita-Kinder bringen Palmstöcke ins Pflegeheim.
Was steht beispielsweise in Ihrem Konzept?
Neben schon bewährten Angeboten haben wir Bereiche neu durchdacht: Verabschiedungskultur oder der Umgang mit Menschen mit Demenz – das sind immerhin 80 Prozent der Bewohner*innen. Und wir möchten die Angehörigen mehr in den Blick nehmen: Was heißt es eigentlich, wenn ich für jemanden die Vollmacht übernehme? Wie gehen wir gut mit an Demenz erkrankten Angehörigen um? Es ist eine große Trauersituation, langsam die Partnerin oder den Partner auf Augenhöhe zu verlieren. Wir wollen aktuell herausfinden, ob da Bedarfe sind und was daraus – vielleicht zusammen mit den Angehörigen – entstehen kann.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …
… wünsche ich mir, dass die Pandemie vorbei ist! Und ein Wellnesswochenende für Körper, Geist und Seele für alle Berufsgruppen im Haus, besonders für die Einrichtungsleitungen, die unter enormem Druck stehen! Unabhängig von der Pandemie ist mein Wunsch, dass unsere Gesellschaft würdevoll mit alten Menschen umgeht und Menschen mit Demenz integriert.
Was gibt Ihnen persönlich Kraft in dieser Zeit?
Mich – wo es möglich ist – mit anderen auszutauschen und auch mal klagen zu dürfen. Daneben sind die Vorbereitungen der wöchentlichen Gottesdienste – auch wenn es viel Arbeit ist – zu einer Kraftquelle geworden, da ich weiß, wie sehr sich die Bewohner*innen darüber freuen. Und auch die monatlichen Gesprächsrunden „Reden über Gott und die Welt“ mit den Bewohner*innen. Es sind derzeit die einzigen regelmäßigen Veranstaltungen in den Wohnbereichen der Altenpflegeeinrichtungen neben dem, was die Betreuungskräfte derzeit täglich an sehr engagierter Begleitung leisten.