Ein Jahr Unsicherheit und Unruhe
Der 24. Februar 2022, der Tag als der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begann, war eine Zeitenwende – in der Weltpolitik genauso wie im Leben von vielen einzelnen Menschen – wie Myron Molczko, Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, der mit seiner Gemeinde ein Jahr voller Unruhe, Unsicherheiten und Angst hinter sich hat.
Etwa eine Stunde dauert das Gespräch. Pfarrer Myron Molczko hat in dieser Zeit fast fortwährend seine graue Stoffkappe in der Hand und knetet sie durch. Er ist unruhig und nervös, auch wenn er lächelt und ab und an einen kleinen Witz macht. „Seit einem Jahr lebe ich in einer ständigen Anspannung“, sagt der Leiter der ukrainisch griechisch-katholischen Kirchengemeinde in Osnabrück.
Weitere Infos
- Ein Jahr Kriegsbeginn: Weitere Texte zum Thema finden Sie hier
- Friedensgebete: Ein Politisches Nachtgebet am 23. Februar um 19.30 Uhr in der Kleinen Kirche am Dom in Osnabrück und das Friedensgebet der ukrainischen Gemeinde am 24. Februar um 14.00 Uhr im Dom. Weitere Infos hier.
- Interview: Die Wissenschaftlerin Regina Elsner zur Lage der Kirchen in Russland und der Ukraine, ein Jahr nach Kriegsbeginn.
So wie ihm gehe es seit dem 24. Februar 2022, als der Krieg auf das ganze Land übergegriffen hat, fast allen in seiner Gemeinschaft. Die Gemeindemitglieder haben Angehörige in der Ukraine, die als Soldatinnen und Soldaten kämpfen und sorgen sich darüber hinaus um die Menschen, die in der Ukraine unter den Angriffen auf die Städte, die Wohnhäuser, die Stromversorgung oder Krankenhäuser leiden. „Die Toten und Verletzten, die ständige Unsicherheit, wie es den Verwandten und der Familie geht. Es nagt an ihnen und deprimiert sie“, erzählt der Priester.
Molczko selbst ist eigentlich in Pension. Aber als vor einem Jahr viele Geflüchtete kamen, stieg er wieder voll in die Seelsorge ein – in Osnabrück, wo er auch geboren wurde. Vorher war er 20 Jahre Pfarrer der Gemeinde in Bielefeld und auch einige Jahre Generalvikar seiner Kirche in Deutschland. In seiner neuen Tätigkeit feiert er alle zwei Wochen Gottesdienste in der Kirche St. Barbara, spendet die Sakramente, organisiert kirchliche und nationale Feste und erfährt so von den Ängsten und Hoffnungen seiner Gemeindemitglieder. Etwa 3000, schätzt er, gibt es mittlerweile in Osnabrück. Für ihn wird es schwer, sich um sie zu kümmern, er wünscht sich personelle Verstärkung, dass ein jüngerer Pfarrer kommt.
Trotz all der Opfer, der verheerenden Zerstörung und hohen Verluste an der Front und der Zivilbevölkerung, sei der Widerstand nach wie vor ungebrochen, sagt der ukrainische Pfarrer. „Die Bevölkerung unterstützt ihre Soldaten mit alle Mitteln und Initiativen.“ Myron Molzco begründet das aus der Geschichte der Ukraine. In den vergangenen Jahrhunderten mussten das Volk sich immer wieder gegen Einmischung von außen wehren – gegen das Deutsche Reich, Polen und vor allem gegen Russland, das die Ukraine immer als einen Teil von sich angesehen habe, obwohl sie doch die längere Geschichte und eine eigene Sprache haben.
Es klingt viel Bitterkeit mit, wenn Molczko davon erzählt, wie die Menschen in der Ukraine immer wieder für ihre Unabhängigkeit kämpfen mussten – wie jetzt. Und er hat Angst, dass die Bevölkerung hier in Deutschland müde wird und einen faulen Frieden bevorzugt, der auf Kosten seines Landes geht. Seine Hoffnung ist deshalb, dass die Hilfe nicht nachlässt, dass die Ukraine nicht vergessen wird.