Den Besuch werde ich nicht vergessen: Wir waren als Delegation des Landkreises Osnabrück, der Caritas und des Bistums Osnabrück zum Besuch bei den befreundeten Kooperationspartnern der Caritas und unserer Schulstiftung in die Stadt und den Landkreis Olstyn/Allenstein in Polen eingeladen.
An einem Nachmittag besuchten wir in einer kleinen Gruppe die sogenannte Wolfsschanze. Hinter diesem Tarnnamen versteckte sich das Hauptquartier Adolf Hitlers während des 2. Weltkriegs. In einem dichten Waldgebiet versteckt, vor Luftaufklärung geschützt, in einem Bunkersystem mit sechs bis acht Meter dicken Decken, durch Flackstellungen gesichert, versehen mit eigenem Bahnanschluss und Flugplatz, umgeben von einem 50 bis 150 Meter breiten Minengürtel und 10 Kilometer Stacheldrahtzaun, mit direkter Funk- und Telefonverbindung nach Berlin ausgerüstet, ereignete sich trotz aller Sicherungsmaßnahmen das Sprengstoffattentat am 20. Juli 1944. Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg verübte es bei einer Lagebesprechung. Adolf Hitler überlebte. Am 20. November 1944 verließ er die Wolfsschanze, als die Rote Armee weniger als 100 Kilometer entfernt stand. Im Januar 1945 sprengte die zurückweichende Wehrmacht die Bunker. In den zerstörten Bunkeranlagen spürt man bis heute den totalitären Ausspruch und die menschenverachtenden Entscheidungen, die hier getroffen wurden. Millionen von Menschen wurden nicht zuletzt aufgrund der Beratungen in der Wolfsschanze umgebracht.
Einen anderen Ort möchte ich in den kommenden Monaten besuchen: Es ist das Gut Kreisau in Schlesien (heute Krzyżowa in Polen). Hier traf sich der sogenannte Kreisauer Kreis, der auf dem Gut von Moltke, Pläne und Strategien zur Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Nationalsozialismus entwickelten. Der Kreisauer Kreis bestand aus Bürgertum und Arbeiterbewegung, aus Protestanten und Katholiken, Persönlichkeiten aus Militär und staatlicher Verwaltung. Der 20. Juli 1944 ist ohne die Vorarbeit und die Diskussion auf Gut Kreisau nicht zu verstehen. Der Volksgerichtshof verurteilte viele Kreisauer wegen Umsturzversuch zum Tode. Nur wenige Angehörige des Kreisauer Kreises konnten die Nachkriegsordnung tatsächlich mitgestalten.
Über den Autor
Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.
Durch seine Tagebuchaufzeichnungen wirkt der Jesuitenpater Alfred Delp (1907 – 1945) bis heute fort. Er war Mitglied des Kreisauer Kreises. Seinen 80 Jahre alten Texte haben eine Aktualität, die mich immer wieder erstaunt. Er hat viele Entwicklungen beschrieben, mit denen wir heute vor dem Hintergrund von Missbrauch und Finanzkrise konfrontiert werden. Schon damals beschreibt er einen großen Autoritätsverfall der Kirche und die Gefahr von Ghettobildung. Für eine billige Aufteilung „Hier drinnen wir Guten und Wahrheitsbesitzer, da draußen die gefallene Welt mit ihren (neu)-heidnischen Irritationen“ ist Alfred Delp nicht zu haben.
Die Rückkehr der Kirche in die Diakonie und Caritas versteht Delp als das Sich-Gesellen zum Menschen in all seinen Situationen mit der Absicht, ihm zu helfen, notfalls das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheit der Menschen, um bei Ihm zu sein – ganz im Sinne von Papst Franziskus heute. Diese Position wurde dann auch im „Kreisauer Kreis“ für die gesellschaftspolitischen Konsequenzen durchdacht. Über die politische Dimension des Christentums gab es damals und gibt es heute Konflikte und sehr kontroverse Vorstellungen.
Es lohnt sich, sich mit den Vorstellungen der Kreisauer Kreis intensiver zu beschäftigen. Sie haben schon damals die Notwendigkeit eines Weges zwischen Kapitalismus und Kommunismus aufgezeigt. Viele Krisenmeldungen der Gegenwart zeigen deutlich, wie aktuell die Gestaltung eines dritten Weges ist. Es geht um eine erneuerte soziale, ökologische, nachhaltige Marktwirtschaft. Sie könnte unser Exportschlager werden.
Der Anfang auf „Gut Kreisau“ ist mit dem Tod von vielen Kreisauern verbunden. Die Asche der Hingerichteten wurde auf den Berliner Rieselfeldern verstreut. Ihr Glaube und ihr Einsatz „für alle“, der Samen von Kreisau, wird fruchtbar werden. Ich möchte diesen Ort der Hoffnung und des Widerstandes und des Gedenkens unbedingt besuchen.