20. Juli 1944

Krieg
Bild: unsplash.com, Stijn Swinnen

Den Besuch werde ich nicht vergessen: Wir waren als Delegation des Landkreises Osnabrück, der Caritas und des Bistums Osnabrück zum Besuch bei den befreundeten Kooperationspartnern der Caritas und unserer Schulstiftung in die Stadt und den Landkreis Olstyn/Allenstein in Polen eingeladen.

An einem Nachmittag besuchten wir in einer kleinen Gruppe die sogenannte Wolfsschanze. Hinter diesem Tarnnamen versteckte sich das Hauptquartier Adolf Hitlers während des 2. Weltkriegs. In einem dichten Waldgebiet versteckt, vor Luftaufklärung geschützt, in einem Bunkersystem mit sechs bis acht Meter dicken Decken, durch Flackstellungen gesichert, versehen mit eigenem Bahnanschluss und Flugplatz, umgeben von einem 50 bis 150 Meter breiten Minengürtel und 10 Kilometer Stacheldrahtzaun, mit direkter Funk- und Telefonverbindung nach Berlin ausgerüstet, ereignete sich trotz aller Sicherungsmaßnahmen das Sprengstoffattentat am 20. Juli 1944. Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg verübte es bei einer Lagebesprechung. Adolf Hitler überlebte. Am 20. November 1944 verließ er die Wolfsschanze, als die Rote Armee weniger als 100 Kilometer entfernt stand. Im Januar 1945 sprengte die zurückweichende Wehrmacht die Bunker. In den zerstörten Bunkeranlagen spürt man bis heute den totalitären Ausspruch und die menschenverachtenden Entscheidungen, die hier getroffen wurden. Millionen von Menschen wurden nicht zuletzt aufgrund der Beratungen in der Wolfsschanze umgebracht.

Einen anderen Ort möchte ich in den kommenden Monaten besuchen: Es ist das Gut Kreisau in Schlesien (heute Krzyżowa in Polen). Hier traf sich der sogenannte Kreisauer Kreis, der auf dem Gut von Moltke, Pläne und Strategien zur Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Nationalsozialismus entwickelten. Der Kreisauer Kreis bestand aus Bürgertum und Arbeiterbewegung, aus Protestanten und Katholiken, Persönlichkeiten aus Militär und staatlicher Verwaltung. Der 20. Juli 1944 ist ohne die Vorarbeit und die Diskussion auf Gut Kreisau nicht zu verstehen. Der Volksgerichtshof verurteilte viele Kreisauer wegen Umsturzversuch zum Tode. Nur wenige Angehörige des Kreisauer Kreises konnten die Nachkriegsordnung tatsächlich mitgestalten.

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Durch seine Tagebuchaufzeichnungen wirkt der Jesuitenpater Alfred Delp (1907 – 1945) bis heute fort. Er war Mitglied des Kreisauer Kreises. Seinen 80 Jahre alten Texte haben eine Aktualität, die mich immer wieder erstaunt. Er hat viele Entwicklungen beschrieben, mit denen wir heute vor dem Hintergrund von Missbrauch und Finanzkrise konfrontiert werden. Schon damals beschreibt er einen großen Autoritätsverfall der Kirche und die Gefahr von Ghettobildung. Für eine billige Aufteilung „Hier drinnen wir Guten und Wahrheitsbesitzer, da draußen die gefallene Welt mit ihren (neu)-heidnischen Irritationen“ ist Alfred Delp nicht zu haben.

Die Rückkehr der Kirche in die Diakonie und Caritas versteht Delp als das Sich-Gesellen zum Menschen in all seinen Situationen mit der Absicht, ihm zu helfen, notfalls das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheit der Menschen, um bei Ihm zu sein – ganz im Sinne von Papst Franziskus heute. Diese Position wurde dann auch im „Kreisauer Kreis“ für die gesellschaftspolitischen Konsequenzen durchdacht. Über die politische Dimension des Christentums gab es damals und gibt es heute Konflikte und sehr kontroverse Vorstellungen.

Es lohnt sich, sich mit den Vorstellungen der Kreisauer Kreis intensiver zu beschäftigen. Sie haben schon damals die Notwendigkeit eines Weges zwischen Kapitalismus und Kommunismus aufgezeigt. Viele Krisenmeldungen der Gegenwart zeigen deutlich, wie aktuell die Gestaltung eines dritten Weges ist. Es geht um eine erneuerte soziale, ökologische, nachhaltige Marktwirtschaft. Sie könnte unser Exportschlager werden.

Der Anfang auf „Gut Kreisau“ ist mit dem Tod von vielen Kreisauern verbunden. Die Asche der Hingerichteten wurde auf den Berliner Rieselfeldern verstreut. Ihr Glaube und ihr Einsatz „für alle“, der Samen von Kreisau, wird fruchtbar werden. Ich möchte diesen Ort der Hoffnung und des Widerstandes und des Gedenkens unbedingt besuchen.

 

Ein Kommentar zu “20. Juli 1944

  1. Sehr geehrter Herr Generalvikar Paul,
    ich wünsche Ihnen, bleibende Eindrücke in Kreisau. Ich selbst habe von dort und aus der einschlägigen Literatur, den Eindruck erhalten, dass dieser lobenswerte Kreis der Akademiker zu sehr theorisiert hat, statt die praktische Beseitigung Hitlers unzweifelhaft ins Werk zu setzen und damit die Wehrmacht vom Führereid zu befreien. Durch die Halbherzigkeit gab es daraufhin mehr Tote an allen Fronten und mehr zerstörte Städte als zuvor. Meine Familie verlor in dieser Zeit 5 Söhne und ihre schlesische Heimat und auch der Mord an den Juden nahm kein Ende.
    Bezogen auf heute und die ungewisse Zukunft der Kirche in Deutschland habe ich den Eindruck, dass wiederum in Akademikerkreisen zu sehr theorisiert wird. Wenn die kirchlichen Reizthemen auf einer Synode angesprochen und diskutiert werden ist das durchaus zu befürworten. Aber das Naheliegende, das Anliegen Pater Delps, sich den Menschen zuzuwenden, wird vernachlässigt. In meiner Stadt gibt es viele Vereine und gesellschaftliche Gruppen. Kein Verein kümmert sich so wenig um seine Leute wie die Kirche. Kein Wunder, dass viele austreten. Alle loben Papst Franziskus, wenn er sagt: „Geht an die Ränder der Gemeinde,“ aber keiner geht hin. Es gibt viele Gremien und Ausschüsse, viele Sitzungen und Tagungen, viele Bauprojekte und Renovierungen, aber den Fernstehenden und den Austretenden und den Einsamen an den Rändern geht keiner nach. Zur Entfremdung gehören immer zwei. Wenn nicht einer von ihnen den ersten Schritt macht, wird es zwangsläufig zur Scheidung kommen. Wenn nicht die Synodalen und die Mitglieder der zahlreichen Gremien in der deutschen katholischen Kirche von ihren Sitzungsstühlen aufstehen und in die Häuser gehen und „um den einzelnen Menschen werben“, wie Pater Delp es vorschlägt, wird alles Bemühen nur Theorie bleiben, wie beim Kreisauer Kreis.
    Das sind meine Erfahrungen zu dem Thema
    Mit freundlichen Grüßen
    Toni Bögner, Bad Oeynhausen

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