Ein Ort jenseits von richtig und falsch

Glaskugel
Bild: unsplash.com, tobias-bjerknes

Ich denke oft an unsere Entscheidungsträger in Politik und Gesundheitswesen, in Kirche und Medizin. Entscheidungen treffen in einer völlig unbekannten Situation. Auch wenn es in den zurückliegenden Jahrhunderten schlimme Epidemien und Seuchen gegeben hat, so ist die Corona-Pandemie mit ihren globalen und lokalen Herausforderungen eine historisch neue Krisenkonstellation.

Die Konfliktlinien sind mittlerweile deutlich zu erkennen: liberal, vorsichtig, zurückhaltend. Nun kommt auch noch die Schuldfrage auf die Tagesordnung. Ich bin dankbar, dass Kirche sich da zurückhält. Unser Beitrag könnte ein anderer sein. Bei allen wissenschaftlichen Bemühungen, trotz großartiger medizinischer Konzepte, bei bester politischer und sozialer Abfederung gibt es doch das Tragische und Endliche in unserem Leben. Selbst das bestens organisierte Leben ist davor nicht befreit.

In den vergangenen Tagen habe ich in einem Artikel ein Wort von Sufi Mevlana Rumi aus dem Mittelalter entdeckt: „Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch. Dort treffen wir uns.“ Sufi Rumi plädiert nicht dafür, den Streit um Richtig und Falsch von der Tagesordnung zu nehmen. Denn natürlich ist das Ringen um den besten Schutz vor dem Virus, den wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen notwendig. Ich halte hier nichts davon, von „der Krise als Chance“ zu sprechen.

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Ich wünsche mir Stimmen, die unsere kostbaren Errungenschaften des Sozialstaates befürworten. In welchem anderen Land der Erde gibt es Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, ein grundversorgendes Gesundheitssystem, Krankenhäuser mit ausreichenden Intensivbetten und vieles mehr. All diese Leistungen sind Teil unseres Sozialstaates und Ergebnis intensiven Streitens um Richtig und Falsch.

Aus meinen persönlichen Leben kenne ich Augenblicke, wo ich im Innern mit dem Satz gegangen bin: „Was immer ich mache, es ist falsch. Also mache ich das Falsche, das ich für richtig halt.“ Ähnliche Augenblicke werden die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien kennen. Und doch: „Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch.“ Dieser Ort ist für mich nicht anonym. Dieser Ort ist bewohnt. In diesem Ort lebt jemand, mit dem ich sprechen kann. Ich kann zu ihm beten. In Corona-Zeiten durch Handeln und Beten bei Gott und den Menschen sein. Dort treffen wir uns.

 

3 Kommentare zu “Ein Ort jenseits von richtig und falsch

  1. Dieses Zitat: „Ein Ort jenseits von richtig und falsch.“ könnten wir in der Kirche an so vielen Stellen anwenden, nicht nur jetzt in der Corona-Krise. Und doch liegt im Menschen diese Sehnsucht nach dem vermeintlich richtigen Ort.
    Ein anderes Zitat will mir da einfallen: „Fürchtet Euch nicht, ich bin bei Euch alle Tage“. Ist dies nicht auch eine Zusage in dieser Zeit!?

  2. Fehlerfreundlichkeit heißt nicht, sich über Fehler zu freuen oder sie zu begrüßen. Fehlerfreundlichkeit heißt, das Leben als Testfeld für Grenzüberschreitungen zu begreifen, die andere nicht verletzen oder einschränken. Dafür braucht es keine Krise, sondern eine Haltung, die auch in der Krise wirkt. Neues Testament lesen…..absolutes Stärkungsmittel!

    1. Den Ansatz/die Haltung von Rumi finde ich sehr sehr lebenswert.
      Muss man aber viel überdenken in der Kirche, denn diese Haltung
      widerspricht total der ewigen Schuld-Suche. Widerspricht auch dem Konzept Beichten und Abbitte und Erbsünde. Das hat mich schon immer gestört an der katholischen Kirche, wie sie mir jahrelang in Schule und Klosterinternat in Osnabrück „vermittelt“ wurde. Das war sehr sehr leidvoll für mich.

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