Eine inspirierende Kraft

Eine inspirierende Kraft

Der Erfolgsautor Yuval Noah Harari schreibt in seinen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“:

In den eifernd-geifernden Predigten mancher evangelikaler Pastoren in den USA ist vom Widerstand gegen Umweltgesetze die Rede, während Papst Franziskus im Namen Jesu Christi gegen den Klimawandel mobil macht (wie sich seiner zweiten Enzyklika Laudato si´ entnehmen lässt). Insofern wird im Jahr 2070 der Hauptunterschied in Umweltfragen vielleicht nur darin bestehen, ob man evangelikaler oder katholischer Christ ist. Selbstverständlich werden Evangelikale gegen jede Einschränkung der CO2-Emissionen sein, während Katholiken der Überzeugung sein werden, dass schon Jesus den Umweltschutz gepredigt hat.

Diesen Unterschied wird man sogar an ihren Autos ablesen können. Evangelikale werden riesige, spritfressende SUV´s fahren, während gläubige Katholiken in smarten Elektroautos herumkurven werden, auf deren Heck ein Aufkleber prangt: ,Verbrennt den Planeten – und schmort in der Hölle!‘ Doch auch wenn die Kontrahenten zum Beleg für ihre Haltung verschiedene Bibelstellen zitieren, wird die wahre Quelle ihre Meinungsdifferenzen in modernen wissenschaftlichen Theorien und politischen Bewegungen zu finden sein, nicht in der Bibel. So gesehen hat Religion nicht wirklich viel zu den politischen Debatten unserer Zeit beizutragen. Wie schon Karl Marx befand, ist sie nichts weiter als Fassade.

Ich möchte Yuval Noah Harari widersprechen. Auch in der augenblicklichen Corona-Krise wird deutlich: Religion hat durchaus so einiges zu den politischen Debatten unserer Zeit beizutragen. Unser Leben und Überleben hängen davon ab, ob es mündige und gewissenhafte Frauen und Männer gibt, die zum Beispiel Abstand wahren aus einer Haltung der Achtung, der Solidarität, der Nächstenliebe. Auftrag der Kirche ist es gerade in Zeiten der Verunsicherungen und Polarisierungen, Räume zu ermöglichen, wo sie nicht selbst Politik machen, sondern Politik und Dialog möglich machen will (Sozialwort 1).

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Im Streit in der Landwirtschaft vermittelt Kirche Dorfgespräche und den Austausch der unterschiedlichen Interessengruppen. In der Krisensituation kann ein zusätzliches kirchliches Netzwerk neue innovative Impulse erschließen, etwa wenn Mitglieder der KLJB für ältere Gemeindemitglieder einkaufen oder Brücken der Verständigung organisieren.

Unser Sozialstaat zeigt in der Corona-Krise, welche bewährten Instrumente er im Laufe der Geschichte entwickelt hat wie Kranken- und Rentenversicherung, Hilfen für Arbeitslose, Kurzarbeitergeld, eine starke Präsenz von Krankenhäusern in der Region und vieles mehr. Für diese Sozialgeschichte der Bundesrepublik ist die Soziallehre der Kirche immer wichtig und eine inspirierende Kraft gewesen. Die kommende Generation sollte das nicht vergessen. Auch für sie gilt: Sie lebt von Voraussetzungen, die sie nicht allein geschaffen hat.

Ein Kommentar zu “Eine inspirierende Kraft

  1. Ich teile deinen Widerspruch, lieber Theo, insbesondere den gegen eine Religion, die nicht den freien Willen fördert und ihre Entscheidungen nur von Einflüssen und Erfahrungen des eigenen Milieus abhängig macht. Denn solche Entscheidungen würde ja kein wirklich freies und eigenes Urteil darstellen, wie ja auch Harari betont. Er versucht, die Menschen auf die Tatsache zu stoßen, dass sie manipulierbar sind und geht davon aus, dass sie in Zukunft noch massiver manipuliert werden könnten als heute. Warum macht er das? Weil manche Entscheidungen viel Leid verursachen, während andere helfen, Leiden zu verhindern. Die große Frage für Harari ist, wie wir uns vom Leiden befreien können. So nennt er die industrialisierte Massentierhaltung eines der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte und das Schicksal industriell aufgezogener Tiere eine der dringendsten ethischen Fragen unserer Zeit – und er selbst lebt vegan. Dabei ist für ihn die ökologische Krise nur eine der großen Gefahren, die nicht von einer Nation oder einem Dorf allein gelöst werden können, sondern nur von globalen Bewegungen – wie z.B. Extinction Rebellion (vgl. XR-Hannover). Für Harari steckt der Liberalismus heute in einem Dilemma. Denn er geht davon aus, dass Menschen einen freien Willen haben, dass menschliche Gefühle die ultimative moralische und politische Autorität darstellen und dass niemand mich besser verstehen kann als ich selbst. Aber künstliche Intelligenz und Biotechnik werden es möglich machen, Menschen zu hacken, das menschliche Verlangen zu kontrollieren und Gefühle zu manipulieren. Und der Liberalismus weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Daher wird er weiter die Entwicklung von Intelligenz und Disziplin fördern und dabei die Entwicklung von Empathie und Spiritualität vernachlässigen. Deswegen warnt Harari ausdrücklich vor dem Mensch der Zukunft ohne Empathie und Spiritualität.

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