Eine neue Kultur schaffen

Kita-Zaun aus Bundstiften
Bild: unsplash.com, Daniel Lloyd Blunk-Fernández

Was etwas trocken klingt, trägt erste Früchte: Das Bistum Osnabrück sieht vor, dass jede Pfarreiengemeinschaft und jede Einrichtung ein Institutionelles Schutzkonzept (ISK) benötigt. Das beinhaltet beispielsweise allgemeingültige Verhaltensregeln für den Umgang mit Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen. Pastoralreferentin Ruth Schmitz-Eisenbach und Kirsten Ludwig, Pastorale Koordinatorin, haben gemeinsam mit ihren Kolleg*innen für die Pfarreiengemeinschaft Ankum, Eggermühlen und Kettenkamp ein ISK erstellt, in dem sie auch eigene Standards setzen. Im Interview erklären sie, wie sich das ganz konkret auf das Gemeindeleben auswirkt.

Wie lange schreibt man an einem Institutionellen Schutzkonzept?

Ruth Schmitz-Eisenbach: Angefangen haben wir 2019, Corona hat uns in der Erstellung etwas ausgebremst, so dass wir es 2021 dann fertiggestellt haben. Begonnen haben wir mit der Risikoanalyse. Wir haben viele Gespräche geführt und dann angefangen zu schreiben. Anfangs war ich etwas überfordert, weil ich nicht genau wusste, wie ich das Schutzkonzept aufbauen soll. In der Rahmenordnung des Bistums ist aufgelistet, was alles hineingehört. Dafür gibt es auch eine Arbeitshilfe. Auf der Seite der Koordinationsstelle zur Prävention von sexuellem Missbrauch sind unterschiedliche Schutzkonzepte veröffentlicht. Wir haben uns auch mit einer Mitarbeiterin des Bistums getroffen und über ihre Erfahrungen zum Thema gesprochen. Das Gespräch hat uns sehr geholfen.

Kirsten Ludwig und Ruth Schmitz-Eisenbach
Kirsten Ludwig und Ruth Schmitz-Eisenbach haben für ihre Pfarreiengemeinschaft ein Institutionelles Schutzkonzept erstellt und möchten damit eine neue Kultur der Akzeptanz und des gegenseitigen Respekts schaffen.

Was war die größte Herausforderung?

Ruth Schmitz-Eisenbach: Insgesamt ist das Thema eine große Herausforderung. Als wir unser ISK erstellt haben, gab es viele Vorgaben vom Bistum noch nicht in Gänze. Beispielsweise wer eine Schulung machen muss und wie lange die dauert. Das ist mittlerweile alles festgelegt und das erleichtert einiges. Jetzt ist klar: Alle Haupt- und Ehrenamtlichen in den Kirchengemeinden unseres Bistums müssen Präventionsschulungen absolvieren und das ist ein Qualitätsinstrument.

Kirsten Ludwig: Neben den Vorgaben, die das Bistum vorschreibt, können Gemeinden oder Einrichtungen eigene Standards in ihrem ISK setzen. Uns war es beispielsweise wichtig, dass wir neben den unabhängigen Ansprechpersonen des Bistums, hier vor Ort eigene haben. Wir waren sehr glücklich, dass sich ein Rechtsanwalt und eine Allgemeinmedizinerin sofort dazu bereiterklärt haben – es kann ja auch sein, dass mit uns mal jemand Erfahrungen macht, die für ihn oder sie grenzüberschreitend gewesen sind. Gleichzeitig schauen die beiden uns regelmäßig auf die Finger. Wir treffen uns einmal im Jahr und besprechen, ob wir unsere Selbstverpflichtungen auch wirklich umgesetzt haben.

Was lief bei der Erstellung Ihres ISK besser als erwartet?

Ruth Schmitz-Eisenbach: Das meiste. Ich habe für die Risikoanalyse mit vielen Jugendlichen gesprochen, die bei uns in der Verantwortung sind: Landjugend- oder Gruppenleiterleitung zum Beispiel. Wir haben lange Gespräche geführt und sie haben sich offen, interessiert und konstruktiv auf dieses Thema eingelassen und das auch als Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit empfunden. Davon war ich positiv überrascht. Auch unproblematisch war es, das Thema in den Gremien vorzustellen. Es gab nirgends Gegenrede.

Weitere Infos

Um Angestellte und ehrenamtlich Tätige im Bistum Osnabrück sicher im Umgang mit Fragestellungen zur Prävention von sexualisierter Gewalt zu machen, werden regelmäßig Schulungen angeboten. Für Menschen, die mit Kindern, Jugendlichen oder schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen arbeiten, schreibt die Rahmenordnung Prävention des Bistums diese Schulungen verbindlich vor. Alle anderen Beschäftigten im kirchlichen Dienst sollen regelmäßig auf die Bedeutung der Prävention gegen sexualisierte Gewalt hingewiesen werden. Das Ziel: Jede und jeder soll über das nötige Wissen und die nötige Handlungssicherheit verfügen, um Gefährdungslagen zu erkennen und angemessen reagieren zu können. Weitere Informationen dazu gibt es bei der Koordinationsstelle Prävention.

Kirsten Ludwig: Es kippt momentan jedoch ein bisschen. Jetzt haben wir begonnen, das Konzept umzusetzen. Als wir die Gremienvertreter*innen zu einer Schulung eingeladen haben, wurden wir teilweise gefragt, warum so etwas notwendig ist, obwohl kein Kontakt zu Kindern und Jugendlichen besteht. Wenn wir aber ins Gespräch kommen, ist schnell Verständnis da. Es geht nicht um einen Generalverdacht, sondern darum, dass diese Tabuisierung von sexueller Gewalt und Grenzüberschreitung generell endlich aufhört.

Von der Theorie in die Praxis: Wie wirkt sich die Präventionsarbeit die Jugendarbeit aus?

Kirsten Ludwig: Wir merken, dass die Jugendverbände den Erwachsenen bei dem Thema um einige Jahre voraus sind. Seit 2010 ist das Thema fest in die Gruppenleitergrundkurse implementiert. Seither ist klar: Wenn ich keine Präventionsschulung habe, kann ich nicht mit ins Ferienlager fahren. Die vermeintlichen Widerstände gibt es daher nicht. Und es wurde mittlerweile auch die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, in diesem Bereich ausgebildet zu sein. Wir machen die Präventionsarbeit nicht, weil wir Missbrauch verhindern können, aber wir können dafür Sorge tragen und haben auch die Verantwortung, besonders als kirchlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe, dass es bei uns mit kindgerechten Dingen zugeht. Wir können davon ausgehen, dass jedes siebte bis achte Kind Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt – in welcher Form auch immer – macht. Der Erfahrungswert ist, dass Kinder bis zu sieben Erwachsene ansprechen müssen, bevor ihnen jemand Glauben schenkt. Das sind zwei Zahlen, von denen wir sagen: Das müssen wir verhindern wollen!

Ruth Schmitz-Eisenbach: Zum Glück wissen die Jugendlichen durch diese über zehnjährige Erfahrung mit dem Thema sehr gut, dass es darum geht, eine bestimmte Kultur zu fördern und die Themen Prävention und sexualisierte Gewalt besprechbar zu machen. Das ist eine ganz wichtige Entwicklung in der Jugendarbeit.

Was hat sich in der Pfarrei noch verändert?

Kirsten Ludwig: In der Jugendarbeit, beispielsweise im Zeltlager, gibt es verstärkt Nachfragen von Leiter*innen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen sollen. Auch Traditionen wurden verändert, weil wir uns immer wieder die Frage stellen, ob etwas noch zeitgemäß und kindgerecht ist. Letztes Jahr haben beispielsweise Leiter*innen sich getraut zu sagen: ,Für mich war eine Nachtwanderung damals der größte Horror im Ferienlager‘. Wir haben das dann diskutiert. Es ist nun okay, wenn ein Kind nicht mitmachen möchte. Wir überlegen uns etwas cooles Alternatives, was sie in der Zeit machen können. Dass die Kinder nun also nicht das Gesicht verlieren, weil sie nicht mit ihrer Gruppe mitgehen, sondern, dass es etwas vollkommen Akzeptiertes ist. In den drei Kitas merke ich auch, dass über die letzten Jahre Regeln – wie beispielsweise was und wann gegessen wird – reflektiert werden. Da geht es gar nicht unbedingt um das Thema sexualisierte Gewalt, um Grenzüberschreitungen, sondern es geht darum zu schauen: Ist es kindgerecht wie wir miteinander arbeiten?

Ruth Schmitz-Eisenbach: Für mich war eine große Erkenntnis, dass das Thema nicht erst bei sexualisierter Gewalt anfängt, sondern schon viel früher. Bei der Frage: Wie achten wir Grenzen von anderen? Es geht darum, sensibler im Umgang miteinander zu werden, zu lernen, dass Bedürfnisse und Grenzen unterschiedlich sind. In meiner Utopie wird sich ein Kultur der Akzeptanz, des gegenseitigen Respekts und der Wahrnehmung entwickeln. An den Stellen fängt das Thema an und es ist wichtig, da sensibler zu werden.