Sexualisierte Gewalt

Nachdem Ende Januar 2010 bekannt wurde, dass zwei Berliner Jesuitenpatres in den 70er- und 80er-Jahren Dutzende Jugendliche sexuell missbraucht hatten, erschütterten immer neue Vorwürfe von sexuellem Missbrauch bzw. sexualisierter Gewalt die katholische Kirche in Deutschland. Bistümer, Orden und andere kirchliche Einrichtungen erhielten in nicht geahntem Ausmaß Hinweise auf Sexualstraftaten. Betroffene, die teilweise Jahrzehnte lang geschwiegen hatten, wagten jetzt den Schritt an die Öffentlichkeit.

Mit eindringlichen Worten hat sich im Frühjahr 2010 Bischof Franz-Josef Bode an die Gläubigen im Bistum Osnabrück gewandt:

Ich bin bestürzt und sprachlos, voller Scham und Trauer über die schmerzlichen Vorgänge und Vertrauensbrüche in unserer Kirche, die bundesweit aus den letzten Jahren und Jahrzehnten ans Licht kommen. Als Bischof von Osnabrück bitte ich ausdrücklich jene Menschen um Vergebung, die in unserem Bistum durch Priester und andere kirchliche Mitarbeiter Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Jeder Missbrauchsfall ist zuviel, und das Ringen um Wahrheit und Gerechtigkeit muss verstärkt werden, damit diese Krise ein Läuterungsprozess werde für unsere Kirche, aber auch für unsere ganze Gesellschaft.

Im November 2010 brachte Bischof Bode die Schuld der Kirche in einem Bußgottesdienst vor Gott. Seitdem beschäftigt das Thema die Menschen im Bistum Osnabrück unaufhörlich.

Hilfe für Betroffene

Die unabhängigen Ansprechpersonen für Missbrauchsfälle im Bistum sind die ersten Kontakte für Betroffene, die durch Kleriker oder andere Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sexualisierte Gewalt oder geistlichen Missbrauch erfahren haben. Neben bedarfsweise therapeutischen und seelsorglichen Hilfsangeboten kann mit ihnen auch geklärt werden, ob materielle Leistungen für die Betroffenen oder für deren Angehörige in Betracht kommen.

2011 wurde die Koordinationsstelle zur Prävention von sexuellem Missbrauch zur Unterstützung, Vernetzung und Steuerung der diözesanen Präventionsaktivitäten eingerichtet. Zum 1. Oktober 2014 trat das Bischöfliche Gesetz zur Vermeidung von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen im Bistum Osnabrück (Präventionsordnung) in Kraft, welches das Gesetz zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Bistum Osnabrück vom 25. August 2010 fortschreibt. Zentraler Inhalt des Bischöflichen Gesetzes ist ein institutionelles Schutzkonzept (ISK), das die einschlägigen Maßnahmen zum Schutz vor Grenzüberschreitung und sexualisierter Gewalt festlegt. Alle kirchlichen Einrichtungen und Institutionen im Bistum Osnabrück sind verpflichtet, ein einrichtungsbezogenes Institutionelles Schutzkonzept zu erstellen.

Im Herbst 2018 wurde von der Deutschen Bischofskonferenz die so genannte MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige veröffentlicht. Im Bistum Osnabrück sind für den Erhebungszeitraum der Studie (1946 bis 2015) insgesamt 35 beschuldigte Geistliche und 68 Betroffene von sexuellem Missbrauch ermittelt worden. Nach der Veröffentlichung der Studie haben sich weitere Betroffene beim Bistum gemeldet. Bis Februar 2020 hat sich die Gesamtzahl der Beschuldigten damit auf 45 und die der Betroffenen auf 116 erhöht. Gegen alle noch lebenden Beschuldigten wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Weitere Infos

Bischof Franz-Josef Bode hat im Februar 2019 ein erweitertes Konzept vorgestellt, das im Bistum Osnabrück jetzt für den Umgang mit sexualisierter Gewalt und geistlichem Missbrauch gilt. Dieser diözesane Schutzprozess umfasst fünf Handlungsfelder: die Prävention, die Intervention, die Hilfe für Betroffene, den Umgang mit Beschuldigten und die Sanktionierung von Tätern sowie die Bearbeitung systemischer Grundsatzfragen. Im Frühjahr 2020 gab es dazu eine erste Bilanz. Näheres dazu erfahren Sie hier.

Die Universität Osnabrück erstellt derzeit eine Studie zu sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im kirchlichen Raum im Bistum Osnabrück. Sie leistet damit einen unabhängigen wissenschaftlichen Beitrag zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum seit 1945. Der Vertrag über das Forschungsvorhaben wurde im Frühjahr 2021 unterzeichnet. Die Arbeiten an der Studie haben im Sommer 2021 begonnen und werden rund drei Jahre dauern. Voraussichtlich im September 2022 sollen erste Teilergebnisse veröffentlicht werden.

Im Herbst 2021 haben das Erzbistum Hamburg sowie die Bistümer Osnabrück und Hildesheim Betroffene von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche zur Mitwirkung in einem Betroffenenrat aufgerufen. Im Frühjahr 2022 standen die Mitglieder des Gremiums fest: Neun Personen bilden den ersten gemeinsamen Betroffenenrat der (Erz)Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück. Ein unabhängiges Auswahlgremium hat sie für drei Jahre berufen. Der Rat entsendet drei Mitglieder in die Gemeinsame Aufarbeitungskommission der drei Bistümer, die sich im Aufbau befindet.