Systemische Grundsatzfragen – und Antworten
„synod_os – gemeinsam weiter gehen“ ist ein Prozess im Bistum Osnabrück überschrieben, der den Synodalen Weg auf Bundesebene begleitet hat. Er hat sich aus den Erkenntnissen der bisherigen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche entwickelt und wurde u.a. von der Arbeitsgruppe systemische Grundsatzfragen des Bistums initiiert. Die Journalistin Michaela Pilters ist externes Mitglied und Sprecherin dieser Arbeitsgruppe. Im Interview erzählt sie von bisherigen Ergebnissen und Plänen für die Zukunft.
Frau Pilters, was sind „systemische Grundsatzfragen“?
Die Arbeitsgruppe mit diesem Namen ist im Zuge des Diözesanen Schutzprozesses entstanden, der sich der Frage widmet, wie man zukünftig vor Missbrauch schützen kann. Da gibt es zwei Kategorien: Einmal die persönliche Seite, wo es um Aufklärung, Prävention, Aufarbeitung geht – um einzelne Menschen, die betroffen sind. Aber es gibt ja auch dahinter liegende Fragen: Wie kommt es zu Missbrauch, was kann grundsätzlich dazu führen? Das sind eben diese systemischen Fragen nach Umständen, die Missbrauch begünstigen. In der Arbeitsgruppe haben wir, als sie Anfang 2019 eingerichtet wurde, überlegt, welche Themen in diesem Zusammenhang wichtig sind und sind auf vier Bereiche gekommen, nämlich Macht, Frauen, Priester und Sexualität. Und das sind genau die vier Arbeitsgruppen, die in der Folge dann auch beim synodalen Weg behandelt wurden. Deswegen wurde das im Bistum dann noch mal im Prozess synod_os zusammengefasst.
Warum ist es so wichtig, diese Grundsatzfragen zu stellen?
Zur Person
Michaela Pilters ist Diplom-Theologin und Journalistin. Von 1985 bis 2018 leitete sie den katholischen Teil der Redaktion „Kirche und Leben“ beim ZDF. Sie war viele Jahre Vorsitzende der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands (GKP).
Zum einen muss man diese vier Themenbereiche durchdenken, um Antworten darauf zu finden, welche Dinge Missbrauch begünstigen, damit man das in Zukunft möglichst verhindern kann. Zum anderen geht es auch generell um die Glaubwürdigkeit von Kirche heute. Zum Beispiel das Frauenbild hat viel damit zu tun. Und ein klerikales System, in dem der Priester alles ist und der Laie nichts – das kann man den Menschen heute gar nicht mehr vermitteln. Darum sind es eben systemische Fragen: weil es um die grundsätzliche Wahrnehmung von Kirche geht. Und da sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit auch unabhängig von Missbrauch ganz wichtige Themen.
Mit welchen Themen haben Sie sich konkret beschäftigt und was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Zu den vier Themen Macht, Frauen, Sexualität und Priesterbild haben vier Studientage stattgefunden, bei denen auf breiter Basis mit Beteiligung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum und darüber hinaus Menschen eingeladen waren, zu diesen Themen zu diskutieren. Und daraus ist dann in der weiteren Arbeit jeweils ein Papier mit Thesen und Leitideen entstanden, die jetzt auf allen Ebenen im Bistum umgesetzt und mit Leben gefüllt werden sollen (siehe „Weitere Infos“ unten rechts auf dieser Seite).
Ich war vor allem in der Arbeitsgruppe Macht aktiv und da ging es zum Beispiel um Machtmissbrauch – gar nicht nur im Kontext sexualisierter Gewalt, sondern in ganz verschiedenen Zusammenhängen, etwa im Miteinander von Pfarrer und Gremien, wie dem Pfarrgemeinderat. Sagt da am Ende der Pfarrer bei Entscheidungen „Basta“ und macht, was er will oder arbeitet er mit den Gremien zusammen? Wichtig ist: Macht ist an sich nichts Böses, aber sie muss transparent sein, sie muss kontrollierbar sein, sie muss mit Respekt ausgeübt werden und darf nicht in Willkür ausarten.
In der AG Frauen ging es zum Beispiel darum, die Kompetenzen und Sichtbarkeit von Frauen zu steigern, in Leitungspositionen, aber auch in der Liturgie. Das gab es zum Beispiel eine Aktion, bei der Frauen in Gottesdiensten gepredigt haben. Oder das zeigt sich aktuell auch in der in der Pilotgruppe „Taufvollmacht für Laien“, die jetzt im Bistum startet – also dass Frauen, überhaupt: Menschen ohne Weihe, Kinder taufen dürfen.
Ebenfalls in Zusammenhang mit den Beschlüssen des Synodalen Weges steht ein schönes Ergebnis der Arbeitsgruppe Sexualität: Dass man im Bistum Osnabrück jetzt offiziell Segensfeiern für Paare, die sich lieben, ermöglicht hat – dass es also hier keine Diskriminierung mehr für gleichgeschlechtliche Paare oder wiederverheiratet Geschiedene mehr gibt. Aber auch generell, dass in dem Papier zum Thema klargestellt wird, dass Sexualität in ihrer Vielfalt ein Geschenk ist.
Weitere Infos
- Hier finden Sie das Papier „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“
- Hier geht’s zum Papier „Über Macht muss man reden“
- Hier finden Sie die Zielformulierungen und Maßnahmen zur Partizipation von Frauen an Diensten und Ämtern der Kirche im Bistum Osnabrück
- Und hier geht’s zum Orientierungstext und Workbook zum Thema „Priesterliche Existenz“
- Hier gibt es detaillierte Infos zur AG Systemische Grundsatzfragen.
- Weitere Infos zum Synodalen Weg im Bistum Osnabrück gibt es hier und hier.
Zum Priesterbild wurde auch ein Papier verabschiedet, ein Orientierungstext zur priesterlichen Existenz, das zukünftig zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema in der Berufsgruppe dient.
Die Bearbeitung der Grundsatzfragen im Bistum fand parallel zum Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland statt, der im Frühjahr 2023 zu Ende ging. Ist jetzt auch die Arbeit der AG beendet oder sind noch Fragen offen?
Unserer Arbeit ist natürlich noch nicht zu Ende! In der Macht-AG zum Beispiel gibt es das Thema „Geistlicher Missbrauch“, mit dem wir uns noch weiter beschäftigen müssen. Insgesamt geht es auch weiterhin viel um Vernetzung – mit dem Schutzprozess, mit Betroffenen, mit anderen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Außerdem müssen wir die erarbeiteten Papiere auf breiter Ebene zum Leben erwecken! Uns also fragen, welche Anregungen wir an beispielsweise Kirchengemeinden geben können. Wir hoffen auch, dass noch Feedback von Menschen kommt, die mit den Papieren arbeiten und uns sagen, wo noch nachgeschärft und verbessert werden muss. Denn nur mit einem Papier ist ja noch nicht alles gut.
Warum engagieren Sie sich als externe Expertin für Kirche – gerade, wenn es um ein so schwieriges Thema wie Missbrauch geht?
Naja, ich bin Theologin und habe mich mein ganzes Leben lang mit katholischer Kirche beschäftigt. Und ich bin auch überzeugte Katholikin, selbst wenn es manchmal sehr schwer geworden ist, sich dazu zu bekennen, weil man inzwischen doch die kritischen Punkte sehr deutlich sieht. Aber ich bin gerne ehrenamtlich dabei, weil ich denke: Wenn wir wollen, dass sich in der Kirche etwas ändert, dann müssen wir selber auch etwas dazu tun.
Und es ist gut, dass das Bistum hier in Osnabrück auch bereit ist, eigene Wege vorauszugehen. Wir wollen uns nicht die Nase blutig reiben an Themen, wo wir sowieso nichts ändern können, wie zum Beispiel das Frauenpriestertum. Aber viele andere Dinge gehen eben und da hat Bischof Franz-Josef Bode immer ganz praktisch gedacht und die Arbeitsgruppen ermutigt und unterstützt, so weit als möglich zu gehen – dafür bin ich ihm sehr dankbar.